Über Uns
Aktuelles

Regierungschef Adrian Hasler im Interview mit dem Volksblatt über den Umgang und die Auswirkungen der Corona-Krise auf das Land Liechtenstein.

03. April 2020
Adrian-Hasler-637215250888691646.jpg

«Volksblatt»: Herr Regierungschef, warum geht Liechtenstein bei den Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus den gleichen Weg wie die Schweiz?

Adrian Hasler: Es macht Sinn, dass Liechtenstein und die Schweiz in Krisensituationen wie bei einer Pandemie eng zusammenarbeiten und sich gegenseitig abstimmen. Wir sind über den Zollvertrag und viele weitere Verträge eng verbunden und stützen uns in vielen Bereichen auf dieselben rechtlichen Grundlagen. So haben wir uns ganz bewusst an den Massnahmen der Schweiz ori-entiert. Bei manchen Entscheiden – wie beispielsweise der Schliessung der Schulen – waren wir etwas früher, bei anderen haben wir den Entscheid der Schweiz rasch nachvollzogen. Für die Regierung ist es wichtig, dass wir kein Gefälle zur Schweiz haben. Wir leben ja nicht auf einer Insel und können uns auch nicht vom Ausland völlig abschotten. Denken Sie nur an die über 20 000 Grenzgänger, die jeden Tag nach Liechtenstein zur Arbeit kommen.

Aber wäre es für einen Kleinstaat nicht besser und effizienter, den eigenen Weg zu gehen?
Wir gehen unseren eigenen Weg, indem wir die Entscheide selbst treffen. Aber es ist auch klar, dass alle Staaten die gleiche Zielsetzung haben: Die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, um eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Und um diese Zielsetzung zu erreichen werden überall ähnliche Massnahmen umgesetzt. Wir prüfen aber immer, was für Liechtenstein Sinn macht und welche Massnahmen wir ergreifen.

Welche Vorteile hat das Fürstentum bei der Bewältigung der Corona-Krise im Vergleich zu anderen Ländern? 

Ein grosser Vorteil ist, dass wir rasch reagieren und entscheiden können. Gerade in Krisensituationen ist es matchentscheidend, dass die Regierung ihre Führungsrolle wahrnimmt und Sicherheit ausstrahlt. Hier ist es von Vorteil, dass sich die Regierung nicht mit Kantonen oder Bundesländern (über mehrere Staatsebenen) abstimmen muss, wie dies in anderen Staaten der Fall ist. 


Gibt’s auch Nachteile?

Ein Nachteil ist, dass wir nicht über eine Intensivstation verfügen. Hier sind wir darauf angewiesen, dass die Verträge mit den Spitälern auch in Krisenzeiten gelten.

"Ein grosser Vorteil ist, dass wir rasch reagieren und entscheiden können."

Regierungschef Adrian Hasler
Sind Sie zufrieden, wie sich die Bevölkerung an die Massnahmen hält? 

Ich möchte den Einwohnerinnen und Einwohnern meinen grossen Dank dafür aussprechen, dass sie viel Verständnis für die Massnahmen der Regierung gezeigt haben und diese auch aktiv unterstützen. Für mich zeigt sich eindeutig, dass sie unseren Aufruf ernst genommen haben und sich an den Appell der Regierung halten. Mit diesem Verhalten helfen sie aktiv mit, die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen.

Wie wahrscheinlich sind derzeit weitere Verschärfungen der Massnahmen, etwa eine Ausgangssperre?

Aus heutiger Sicht ist für mich eine Ausgangssperre kein Thema. Das wäre ein massiver Eingriff in die Grundrechte, den ich aufgrund der aktuellen Situation nicht rechtfertigen könnte. Ich bin auch überzeugt, dass frische Luft, ein Spaziergang im Freien oder etwas Sport betreiben für das Wohlbefinden ganz wichtig sind. Zudem hält sich die Bevölkerung an die Massnahmen und an die Empfehlungen der Regierung.

Die Infizierten-Kurve in Liechtenstein scheint sich derzeit abzuflachen. Gibt es schon Überlegungen, die Massnahmen wieder zu lockern? 

Wir hatten in den letzten Tagen, trotz vielen Tests, keine dramatische Zunahme der Fälle. Das ist zwar positiv, aber noch kein Zeichen für eine Entwarnung. Im Gegenteil, wir müssen jetzt diesen Weg konsequent weitergehen und uns an die Massnahmen und Empfehlungen der Regierung halten. Wenn jeder in seinem Alltag sich diesen Übertragungsweg vor Augen hält und sein Verhalten so anpasst, dass die Übertragung unterbunden wird, können wir die Ausbreitungsgeschwindigkeit so senken, dass unser Gesundheitswesen nicht überlastet wird.

 "Wir müssen jetzt den Weg konsequent weitergehen und uns an die Massnahmen und Empfehlungen der Regierung halten."

Regierungschef Adrian Hasler
Können Sie eine grobe Einschätzung abgeben: Wird die Krise gar bis zu den Sommerferien oder noch darüber hinaus andauern?

Diese Frage kann ich Ihnen heute nicht beantworten. Vorerst gelten die getroffenen Massnahmen der Regierung bis Ende April. Wir bereiten uns natürlich schon jetzt darauf vor, wie wir diese Einschränkungen gestaffelt wieder lockern – jeweils in Abhängigkeit der Situation. Wir dürfen jedoch keinesfalls zu früh lockern, da sonst die Gefahr einer zweiten Welle besteht. Das gilt es zu vermeiden.

Sind Sie guter Dinge, dass die Bevölkerung die Massnahmen noch länger mittragen wird?

Die Einwohnerinnen und Einwohner haben die drastischen Massnahmen bis jetzt sehr gut mitgetragen. Das wiederum hilft, die Ausbreitung zu verlangsamen und damit auf weitergehende Massnahmen wie beispielsweise eine Ausgangssperre zu verzichten. Mir ist bewusst, dass es zunehmend schwieriger wird, sich daran zu halten. Dennoch zähle ich auf die Solidarität in unserer Gesellschaft und den gesunden Menschenverstand.


Wie lange kann die Liechtensteiner Volkswirtschaft den wirtschaftlichen Stillstand noch aushalten?

Wir sind uns in der Regierung sehr bewusst, dass die aktuelle Situation für unsere Wirtschaft eine enorm grosse Belastung, ja zum Teil eine existentielle Bedrohung darstellt. Arbeitsplätze und Unternehmen sind gefährdet. Viele Klein- und Kleinstunternehmen und insbesondere auch Einzelunternehmer wissen nicht mehr, wie sie nach dem Totalausfall der Einnahmen die Löhne, die Miete und weitere Rechnungen bezahlen sollen. Die Regierung hat deshalb mit enormem Einsatz ein Massnahmenpaket zur Unterstützung der Wirtschaft geschnürt. Ziel ist es, Arbeitsplätze zu sichern und schnelle Hilfe für Unternehmen anbieten zu können. Wir hoffen, dass unsere Wirtschaft mit diesen Unterstützungsmassnahmen über die Runden kommt.

Wie bewerten Sie den Nutzen der bislang gesprochenen Wirtschaftshilfe?

Die Nachfrage nach den verschiedenen Instrumenten des Massnahmenpakets ist sehr gross und bestätigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Zudem zeigen die positiven Rückmeldungen aus der Wirtschaft, dass die Regierung ein gutes Unterstützungspaket erarbeitet hat. Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass die Hilfe rasch und unbürokratisch bei den Unternehmen ankommt. Wir sind uns aber auch bewusst, dass wir mit dem Unterstützungspaket zwar vielen direkt Betroffenen helfen können, aber nicht für jeden Einzelfall eine massgeschneiderte Lösung bieten können.

Werden die bisher von Land und Gemeinden gesprochenen 120 Millionen Franken reichen?

Die Regierung wird heute das zweite Massnahmenpaket beschliessen. Am späteren Nachmittag werden die weiteren Massnahmen dann der Öffentlichkeit präsentiert. 

Wie lange sind Sie als Hüter der Staatsfinanzen bereit, die Wirtschaftspakete finanziell tragen?

Wir haben in der letzten Legislaturperiode den Staatshaushalt saniert und mit dem Aufbau der Reserven mittlerweile eine ausgezeichnete Grundlage geschaffen. Diese Reserven geben uns den notwendigen Spielraum, um in Krisenzeiten wie jetzt auch agieren zu können. Für mich steht im Zentrum, dass wir unserer Wirtschaft, die unverschuldet in grosse Schwierigkeiten gekommen ist, helfen – und zwar dort, wo es sinnvoll und notwendig ist. 

"Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass die Hilfe rasch und unbürokratisch bei den Unternehmen ankommt."

Regierungschef Adrian Hasler
Dann gibt’s für Sie auch keine Schmerzgrenze?

Diese Frage ist für mich aus Sicht des Landeshaushalts zweitrangig. Es geht primär um unsere Volkswirtschaft, die gestützt werden muss.

Angenommen, die allermeisten Unternehmen haben am Ende der Corona-Krise überlebt: Ist es realistisch, dass die Wirtschaft dann einfach den Motor wieder neu startet und weiter geht’s – wie in früheren Zeiten? 

Aus meiner Sicht ist das nicht realistisch. Ich gehe eher davon aus, dass sich das Leben langsam normalisieren wird. Dies wird auch Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Derzeit müssen wir davon ausgehen, dass wir uns auf eine globale Rezession einstellen müssen. Das wird viele exportorientierte Unternehmen treffen, indirekt dann auch die vielen Zulieferer und Dienstleister.

Sehen Sie aufgrund der aufziehenden Rezession schwarz für den künftigen Staatshaushalt?

Ja und nein. Wie bereits erwähnt stehen wir auf einem sehr guten Fundament. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und können mit unseren Reserven eine Krise überstehen. Dennoch wird die erwartete Rezession grosse Auswirkungen auf den Staatshaushalt haben. Ich gehe davon aus, dass die Steuereinnahmen im nächsten Jahr markant einbrechen werden.
"Wir legen grossen Wert darauf, die Bevölkerung transparent und zeitnah zu informieren."

Regierungschef Adrian Hasler
Wie nehmen Sie die Zusammenarbeit der Regierung derzeit wahr?

Die Zusammenarbeit in der Regierung läuft sehr gut. Jeder nimmt seine Verantwortung wahr und trägt seinen Teil zur Bewältigung der Krise bei. Wir arbeiten speditiv und zielgerichtet an den verschiedenen Themen und stimmen uns täglich über die aktuelle Lage und das weitere Vorgehen ab. Ein wichtiges Thema ist auch die Krisenkommunikation. Hier legen wir grossen Wert darauf, die Bevölkerung transparent und zeitnah zu informieren. Die Rückmeldungen zeigen mir, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Eine Oppositionspartei äusserte bereits Kritik am Vorgehen der Regierung. Finden Sie diese berechtigt?

Nein. 

Wie gehen Sie persönlich und Ihre Familie mit den gesellschaftlichen Einschränkungen um?

Unser Familienleben hat sich deutlich verändert. Unsere Jungs sind jetzt beide den ganzen Tag zu Hause und haben Fernunterricht. Die sozialen Kontakte mit Familie und Freunden haben wir auf das absolute Minimum beschränkt. So darf ich meinen Vater im Altersheim seit einiger Zeit nicht mehr besuchen, und auch meine Mutter gehört zur Risikogruppe. Zum Glück sorgt meine Frau mit immer neuen Ideen dafür, dass wir zu Hause eine gute Stimmung haben. 

Was vermissen Sie am meisten?

Am meisten vermisse ich, unsere Freunde zu treffen und gemeinsam ein Glas Wein zu trinken oder ein feines Essen zu geniessen. Darauf freue ich mich ganz besonders.

(hm)

Vorherige
Albert Frick, Landtagspräsident im Interview mit dem Volksblatt zum Thema Landtagsarbeit im Umfeld der Coronakrise.
Nächste
Ungewohnte Fraktionsarbeit während der Corona Krise




Galerie

image